TIBETISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG

Ausgerufen von Seiner Heiligkeit, dem 13. Dalai Lama im Jahr 1913


AUSGERUFEN VON SEINER HEILIGKEIT, DEM 13. DALAI LAMA AM ACHTEN TAG DES ERSTEN MONATS IM JAHRE DES WASSERBÜFFELS (1913)

Deutsche Übersetzung der Englischen Übersetzung des Tibetischen Texts

Ich, der Dalai Lama, allwissendster Inhaber des buddhistischen Glaubens, dessen Titel auf Anweisung Buddhas aus dem glorreichen Land Indien verliehen wurde, spreche zu euch wie folgt:

Ich spreche hiermit zu Tibetern aller Klassen. Buddha, aus dem glorreichen Land Indien, prophezeite, dass die Reinkarnationen Avalokiteshvaras durch aufeinander folgende Herrscher seit den frühen religiösen Königen bis zum heutigen Tage auf das Wohlergehen Tibets achten würden.

Zu Zeiten von Dschingis Khan und Altan Khan der Mongolen, der Ming-Dynastie der Chinesen und der Qing-Dynastie der Mandschus kooperierten Tibet und China auf der Basis einer Patron-Priester-Beziehung. Vor einigen Jahren strebten die chinesischen Herrschafter in Sichuan und Yunnan eine Kolonialisierung unseres Landes an. Sie kamen mit einer großen Anzahl an Truppen nach Zentraltibet unter dem Vorwand, die Handelszentren zu überwachen. Aus diesem Grunde verließen ich und meine Minister Lhasa und begaben uns zur Tibetisch-Indischen Grenze, darauf hoffend, vor dem Mandschu-Kaiser auf telegraphischem Wege darzulegen, dass die existierende Beziehung zwischen Tibet und China vielmehr eine zwischen Patron und Priester ist und nicht auf der Untergebenheit einer Seite basiert. Ich hatte keine andere Wahl, als die Grenze zu überqueren, denn chinesische Truppen verfolgten mich mit dem Ziel, mich lebend oder tot gefangen zu nehmen.

Bei meiner Ankunft in Indien schickte ich mehrere Telegramme an den Kaiser, doch das Eintreffen seiner Antwort auf meine Forderungen wurde verzögert durch korrupte Beamte in Peking. In der Zwischenzeit brach das Mandschu-Imperium zusammen. Die Tibeter waren darin bestärkt, die Chinesen aus Zentraltibet auszuweisen. Ich kehrte ebenfalls sicher zurück in mein rechtmäßiges und heiliges Land und ich bin dabei, die Überreste der chinesischen Truppen aus Dokham im Osten Tibets zu vertreiben. Das Vorhaben der Chinesen, Tibet unter einer Patron-Priester-Beziehung zu kolonialisieren, ist verblasst wie ein Regenbogen am Himmel. Nach dem abermaligen Erlangen einer Zeit des Glücks und Friedens weise ich jeden von euch an, die folgenden Pflichten ohne jegliche Nachlässigkeit auszuführen:

1. Frieden und Glück auf dieser Welt können nur durch die Erhaltung des buddhistischen Glaubens bewahrt werden. Deswegen ist es erforderlich, alle buddhistischen Institutionen, wie zum Beispiel den Jokhang- und den Ramoche-Tempel in Lhasa, Samye, Traduk im Süden Tibets und die drei großen Klöster etc. zu erhalten.

2. Die verschiedenen buddhistischen Sekten in Tibet sollten in einer klaren und puren Form aufrechterhalten werden. Buddhismus sollte in manierlicher Weise gelehrt und erlernt und Meditation ausgeübt werden. Mit Ausnahme einiger besonderer Persönlichkeiten ist es Administratoren von Klöstern verboten, Handel zu treiben, Geld zu leihen, mit jeglicher Art von Tierbestand zu handeln und/oder einen anderen in seinem Treiben zu unterjochen.

3. Sowohl die zivilen als auch die militärischen Beamten der tibetischen Regierung sollten bei der Eintreibung von Steuern oder beim Umgang mit den ihnen unterstellten Bürgern gerechtes und ehrliches Urteil walten lassen, so dass die Regierung profitiert ohne die Interessen der Bürger zu verletzen.

Einige der in Ngari Korsum in Westtibet und Dokham in Osttibet stationierten Regierungsbeamten nötigen die ihnen unterstellten Bürger, Ware zu überhöhten Preisen zu erwerben und führten außerdem Transportrechte ein, die die Vorgaben der Regierung überschreiten. Häuser, Grundstücke und Ländereien von Bürgern wurden unter dem Vorwand geringfügiger Gesetzesübertretungen konfisziert. Desweiteren wurden Personen Körperteile als Form der Bestrafung amputiert. Fortan sind solche harten Formen der Bestrafung verboten.

4. Tibet ist ein Land mit reichen natürlichen Ressourcen, doch ist es wissenschaftlich nicht so entwickelt wie andere Länder. Wir sind eine kleine, religiöse und unabhängige Nation. Um mit dem Rest der Welt mitzuhalten, müssen wir unser Land verteidigen. Hinsichtlich vergangener Einfälle von Ausländern findet sich unser Volk eventuell mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, welche es aber unbeachtet lassen muss. Um die Unabhängigkeit unseres Landes zu schützen und zu wahren, ist jeder dazu angehalten, freiwillig hart zu arbeiten. Bürger, die in der Nähe der Grenzen leben, sollten aufmerksam sein und die Regierung über sämtliche auffällige Entwicklungen mittels spezieller Boten informiert halten. Es dürfen keine größeren Konflikte zwischen zwei Nationen aufgrund von unwesentlichen Ereignissen herbeigeführt werden.

5. Obwohl nur dünn besiedelt, ist Tibet ein ausgedehntes Land. Aus Neid hindern einige lokale Beamte und Landbesitzer andere Personen daran, freie Landflächen zu bearbeiten, ohne selbst etwas zur Nutzung der freien Landflächen beizutragen. Leute, die derartige Einstellungen teilen, sind Feinde des Staates und unseres Fortschritts. Von nun an ist es verboten, andere Bürger an der Kultivierung freier Landflächen zu hindern. Vor dem Ablauf der ersten drei Jahre wird von einer Eintreibung der Landessteuern abgesehen. Danach ist der Landwirt dazu angehalten, jährliche Steuern an die Regierung und an den Grundherrn zu zahlen, die proportional zur Pacht sind. Das Land wird dem Landwirt gehören.

Eure Verpflichtungen gegenüber der Regierungen und der Mitmenschen sind erfüllt, wenn alles ausgeführt worden ist von dem gerade Gesagten. Dieser Brief muss in jeden Distrikt Tibets versendet und dort verbreitet werden, und es soll eine Kopie in den Akten eines jeden Regierungsbüros verwahrt werden.

Aus dem Potala-Palast

(Siegel des Dalai Lamas)
Quelle: W.D. Shakabpa, 'Tibet: A Political History'

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རྗར་འཁོད་བོད་རིགས་ཚོཌ་པའི་གལ་ཆེ་གསལ་བསྒྲགས།
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